01.08.2020 / Erfahrungsberichte

Erfahrungsbericht über die Zeit in einem Kindergarten in Ghana

In Ghana gibt man nicht auf. Man träumt sich zu den Sternen und auch wenn man eine Millionen Mal unsanft auf den Boden fällt, steht man immer wieder auf. "You gonna be fine", heißt es dann und auch wenn mich dieser scheinbar inhaltsleere Spruch das ein oder andere Mal ganz gewaltig auf die Palme gebracht hat, ist er schlicht und ergreifend einfach wahr.

Lauras Zeit in Ghana

Weil das Leben es wert ist

Vorbereitungen oder auch: Du machst das jetzt wirklich, oder? „Und, was machst du so nach dem Abi?“ „Ich gehe für ein halbes Jahr nach Ghana.“ „Oha, krass!“ So etwas oder ähnliche Aussagen habe ich viele zu hören bekommen, bevor ich letztes Jahr im November meine Koffer und eine Geige packte, um sechs Monate Freiwilligenarbeit in einer Preschool in Ghana zu absolvieren. Was daran jetzt so krass sein sollte, habe ich bis heute nicht verstanden, aber ich habe nun, am Ende meines Aufenthaltes, ohnehin das Gefühl, die Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht mehr so recht zu verstehen (gehört auf die lange Liste der Nebenwirkungen, die so ein Ghana-Aufenthalt mit sich bringt, von denen ich jedoch keine missen möchte).

Ankunft und erste Tage in Accra

Ich stehe im Kotoka International Airport von Accra und wundere mich. Erstens, dass ich überhaupt angekommen bin, wo ich mich doch am Amsterdamer Flughafen so zielsicher verlaufen hatte und zweitens darüber, dass jemand die Zeit angehalten hat. Nichts anderes kann der Grund dafür sein, dass ich schon seit gefühlten Stunden am hintersten Ende der meterlangen Schlange für die offizielle Einreise stehe und sich noch genau gar nichts bewegt hat. Nicht einen Millimeter. Einige Erklärungsversuche später, dass ich da keine Bohrmaschine, kein Klavier und auch keinen Sonnenschirm, sondern eine Geige mit mir führe, realisiere ich, dass das Problem nicht die Zeit ist, sondern zwei Beamte in grüner Uniform, die hinter ihren Schaltern sitzen und gemütlich vor sich hin dösen und vielleicht höchstens vom Arbeiten träumen. Ich werde ungeduldig, aber lerne schnell, dass Ungeduld in Ghana ungefähr so nützlich ist, wie ein Glätteisen für Glatzenträger.

Irgendwie schaffe ich es trotzdem mitsamt Gepäck aus dem Gebäude hinaus und halte Ausschau nach einem gelben RGV-T-shirt. Das gelbe T-shirt stapft gelassen auf mich zu und stellt sich als Game vor. Als wir im Auto sitzen und unseren Weg durch den wahnwitzig hupenden Verkehr Accras bahnen, kann ich zum ersten Mal richtig aufatmen. Die fremde Luft kitzelt meine Nase und wärmt meine Lunge. Ich schaue aus dem offenen Fenster, meine Haare wehen im Abendwind und schon jetzt fühle ich mich frei.

Dieses Gefühl lässt mich auch in den nächsten Tagen nicht los, in denen ich eine Citytour durch die Hauptstadt und eine dreistündige Erzählstunde über Land und Leute geboten bekomme und die Freiwilligen des Studenthouses Teshie-Nungua, in dem ich ab jetzt wohnen würde, nach und nach kennenlerne.

Ich hatte mir das Einleben schlimmer vorgestellt. Verwirrend, hilflos und vielleicht ein kleines bisschen einsam, aber nichts dergleichen geschieht. Stattdessen habe ich das Gefühl zwischen Hochbetten und Studenten WG-Chaos, irgendwie angekommen zu sein.

Let me tell you something about Ghana

Natürlich ist es Unsinn, anzunehmen, ich könnte dir etwas über Ghana erzählen, wo du doch selbst erst dagewesen sein musst, um verstehen zu können, wie es ist, aber ich will es dennoch versuchen. Essen kannst du immer und überall auf der Straße kaufen, sogar aus den Trotros heraus (ausrangierte Lieferwagen aus Deutschland oder den Niederlanden, die hierzulande noch nicht einmal über den TÜV kriechen könnten, in Ghana jedoch ohne Probleme, auch mal ohne Tür und tendenziell mit fünf Leuten mehr, als eigentlich reinpassen, über die Straßen brettern und dabei nicht unsicherer sind, als jedes andere Fortbewegungsmittel auch).

Wasser trinkst du aus 500ml fassenden Tüten (IcePaks), von denen du eine Ecke abbeißt und die leicht nach Chlor schmeckende Flüssigkeit heraussaugst, wie ein Vampir mit Entzugserscheinungen.

Die Straßen sind voll mit Menschen, die dir zwar desöfteren obruni (Fremder) hinterherrufen, jedoch immer bereit sind, dir zu helfen, solltest du dich auf Reisen mal wieder verlaufen haben. Uhren gibt es nicht, bzw. ticken sie ein wenig langsamer als gewohnt. I'm coming deutet dann meist auf eine halbstündige Wartezeit hin, I'm coming soon, eher auf 40-60minütiges Warten.

Alles, was man auf der Straße kauft, wird in winzige schwarze Plastiktüten gepackt; allen voran das Obst, das sich auf Straßenständen türmt. Man nehme sich jedoch in Acht: Mango- und Papayasaison wechseln sich gemeinerweise ab.

Fast kein Preis, der dir genannt wird, ist ein fester Preis. Handeln, handeln, handeln, bis entweder du oder der Taxifahrer/Verkäufer keine Lust mehr hat und aufgibt. Ich könnte noch endlos weiterschreiben, aber ich habe fast das leise Gefühl, dass dieser Erfahrungsbericht ohnehin schon den Rahmen an angedachten Worten sprengt.

Schooling in Ghana - Es gibt jetzt einen Stundenplan!

Schule. Oder Kindergarten. Oder Nursery. Oder doch gleich alles zusammen. Es ist der dritte Tag meiner Karriere als ghanaische Lehrerin und ich hopse wie ein Stehaufmännchen vor allen Kindern (ca. 40 aus drei Klassen) des Kindergartens herum. Auf zwei Beinen, auf einem Bein, wenn ich könnte auch auf meinen Händen, aber das übersteigt dann doch leider meinen Kompetenzbereich.

Nach einer nervenaufreibenden Stunde, haben die Kleinen ein Lied mit Bewegungsaufgaben gelernt und sind noch genauso aufmüpfig, wie davor. Die drei zuständigen Lehrerinnen sitzen entspannt draußen in der Sonne, machen keine Anstalten auch nur irgendetwas zu tun und schauen sich das Treiben aus der Ferne an. Meine anfängliche Hoffnung, sie würden vielleicht doch irgendwann Eigeninitiative ergreifen und unterrichten, zerschlägt sich. Langsam aber sicher platzt mir der Kragen. Ich kann nicht ein halbes Jahr lang mit 40 Kindern im Alter von 2-10 Jahren vernünftig arbeiten, so viel steht fest. Eine Klasse kann ich übernehmen, aber gleich alle drei?

Einen Term später (nach den Weihnachtsferien): Ich habe es tatsächlich geschafft, einen Stundenplan einzuführen! Morgens Assembly (Versammlung aller Kinder mit Gesang und Gebet), dann Unterricht, Pause, Unterricht, Essen, Mittagsschlaf. Ich habe den Kindergarten 1 übernommen, da dessen Lehrerin mit ihrem dicken Baby, das sie selbst obolo (Fettie) nennt, schon leicht überfordert ist und einige Wochen später sind wir sogar drei Freiwillige – für jede Klasse einer. Unterrichten kann man wirklich als richtiges Unterrichten verstehen. Auch wenn es sich bei der Institution noch um Kinderkrippe und -garten handelt, gibt es so eine Art Lehrplan und am Ende jedes Terms (alle 12 Wochen) werden sogar Examen geschrieben.

Die Kinder sind begeistert von ihren obrunis in der Schule, auch wenn sie anfangs herzlich wenig auf das geben, was Loria (der Name Laura war wohl zu schwierig zu merken) ihnen sagt, denn Loria schlägt sie nicht. Das Schlagen mit dem Rohrstock auf Finger, Beine und Rücken bei Ungehorsam ist in Ghana noch eine gängige Erziehungsmethode und es ist beinahe unmöglich, diese aus dem bestehenden System herauszubekommen, denn hörst du einmal auf die Schläge, hörst du auf nichts anderes mehr. Dass es andere Konsequenzen gibt, wie zum Beispiel der Ausschluss vom Unterrichtsgeschehen oder keine Ausmalbilder, mussten die Kleinen erst noch mühsam lernen. Nach einiger Zeit hatte ich mir dann jedoch tatsächlich ein wenig Respekt erarbeitet und die Rasselbande ganz schön lieb gewonnen.

Wir sind dann mal weg

Wer hart arbeitet darf am Wochenende: feiern. Nun gut, ja, das auch, aber an allererster Stelle REISEN! Jedes zweite Wochenende bin ich losgezogen, um den höchsten Berg Ghanas (600m) in Ho zu erklimmen, das Paradies in Cape3Points zu besuchen, auf den Hängebrücken des Kakum Nationalparks zu schwanken, in der Sklavenburg von Cape Coast zu zittern oder Elefanten aus nächster Nähe im Mole Nationalpark zu betrachten. Geplant wurde wie gewöhnlich meistens nichts, sondern einfach so ins Blaue hineingefahren, was mir am Anfang ziemlich naiv und absurd erschien, aber auf keiner meiner Reisen musste ich jemals auf der Straße schlafen. Zugegeben, einmal auf dem Dach, aber auf der Straße nie.

I don't say goodbye...

Abschied. Ich würde ja jedem alles wärmstens weiterempfehlen, was ich in meinem halben Jahr so veranstaltet habe, aber den Abschied auf keinen Fall. Zu gehen, war das Schlimmste, was mir während meiner Zeit passiert ist, was wohl vieles über meinen Aufenthalt an sich aussagt. Ich habe ein Zuhause gefunden, eine Familie, wunderbare Freunde und ganz nebenbei mich selbst. Ich habe mich verliebt in Land und Leute und kann mich nur damit trösten, dass ich wiederkommen werde. Ich habe gelernt, dass es wichtigere Dinge gibt, als eine strukturierte Karriereplanung und einen lückenlosen Lebenslauf, was meiner Meinung nach viel zu viele Deutsche vergessen und das tun, was der Leistungsdruck unserer Gesellschaft ihnen vorschreibt.

 Sie verlieren sich selbst, werden depressiv oder leiden an Burn Out, obwohl die Lösung ihrer Probleme doch direkt vor ihrer eigenen Nase liegt. Leben. Nur für das Leben an sich lohnt es sich schon, weiterzumachen, niemals aufzugeben. In Ghana gibt man nicht auf. Man träumt sich zu den Sternen und auch wenn man eine Millionen Mal unsanft auf den Boden fällt, steht man immer wieder auf.

You gonna be fine, heißt es dann und auch wenn mich dieser scheinbar inhaltsleere Spruch das ein oder andere Mal ganz gewaltig auf die Palme gebracht hat, ist er schlicht und ergreifend einfach wahr.

Erfahrungsbericht von Laura R., die von November 2016 bis April 2017 im Kindergarten Preschool Projekt in Ghana teilnahm.

Portrait Laura
Autor
Laura

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