01.09.2020 / Erfahrungsberichte

Meine Erfahrungen im Ergotherapie-Praktikum in Namibia

Da mir diese Aufgaben und das afrikanische Arbeitstempo – welches doch um einiges relaxter ist als das deutsche – zu wenig waren, bot ich an, zusätzlich Einzelbehandlungen und Werkprojekte durchzuführen. Diese wurden von den Patienten mit großer Begeisterung angenommen.

Carinas Zeit in Namibia

Wie alles begann:

Nach meiner Ergotherapie-Ausbildung packte mich die Lust auf Abenteuer und so beschloss ich gemeinsam mit einer Klassenkameradin: „auf nach Afrika!“. Wir waren uns einig, dass wir dort gerne gleich Berufserfahrung in der Ergotherapie sammeln wollten, um am Ball zu bleiben. Auf unsere Anfrage hin suchte die RGV-Teamleitung in Namibia nach einer geeigneten Einrichtung und wurde fündig. Sie vermittelte uns an das Central-Hospital in der Hauptstadt Windhoek. Wir waren also die ersten Praktikanten für dieses Projekt und bis zum tatsächlichen Beginn sehr gespannt, was uns dort erwartet.

Mein Einsatzort:

Das Central-Hospital ist eines der beiden größten staatlichen Krankenhäuser Namibias. Das Andere Krankenhaus befindet sich ebenfalls in Windhoek. Gemeinsam decken diese beiden Häuser alle medizinischen Fachbereiche ab und verfügen offiziell über ca. 1.500 Betten. „Offiziell“, da es durchaus üblich ist, die Bettenzahl in Stoßzeiten durch Matratzen auf den Fluren zu erweitern.

Die rund 25 Ergotherapeuten der beiden Einrichtungen verteilen sich auf die Fachbereiche Pädiatrie, Spinal-Cord-Unit (Querschnittspatienten), Stroke Unit/Neurologie, Handtherapie/Orthopädie/Chirurgie, Kardiologie, Onkologie, forensische Psychiatrie und allgemeine Psychiatrie. Es werden sowohl stationäre als auch ambulante Patienten behandelt.

Mein Praktikum in der Ergotherapie:

Da die in Deutschland abgeschlossene schulische Ausbildung zur Ergotherapeutin in Namibia nicht anerkannt ist, wurden wir zur Unterstützung des Teams als Praktikanten eingesetzt und der Forensik und Allgemeinpsychiatrie zugeteilt. An einigen Tagen hatten wir aber auch die Gelegenheit, einen Einblick in andere Fachbereiche zu bekommen.

Die Aufgaben in der allgemeinen Psychiatrie waren:

  • Unterstützung und selbständige Durchführung von Gruppen (u.a. Sportgruppe, Kochgruppe, Trommelgruppe, …)
  • Teilnahme an der interdisziplinären Morgenbesprechung
  • Teilnahme an Visiten
  • Teilnahme am Ergo-Team

Da mir diese Aufgaben und das afrikanische Arbeitstempo – welches doch um einiges relaxter ist als das deutsche – zu wenig waren, bot ich an, zusätzlich Einzelbehandlungen und Werkprojekte durchzuführen. Diese wurden von den Patienten mit großer Begeisterung angenommen, da auch ihr Tag, wenn überhaupt, nur sehr wenige Programmpunkte beinhaltete (also ganz anders als in deutschen Psychiatrien) und sie sich den Großteil des Tages ohne sinnvolle Betätigung langweilten.

Allgemein herrschte unter den Patienten eine freundliche, fröhliche und ausgelassene Stimmung, wie ich sie in einer Psychiatrie nicht erwartet hätte. Es schien, als hielt die afrikanische Lebensfreude selbst Erkrankungen wie Depression, Schizophrenie oder Sucht stand. Auch uns gegenüber waren die Patienten sehr offen, interessiert und freundlich.

In der Forensik war das Tagesprogramm etwas voller und bestand aus:

  • Unterstützung und selbständiger Durchführung von arbeitstherapeutischen Gruppen (u.a. Näh-Gruppe, Kiosk-Betrieb, Carwash-Betrieb)
  • Durchführung von alltagspraktischem Training in der Predischarged-Group (z.B. PC-Basics, Kochen)
  • Durchführung von Sportgruppen
  • Unterstützung beim regelmäßig wiederkehrenden Projekt „Coffee-Shop“, bei dem die Patienten einen Tag lang die Ergo-Abteilung in ein Café verwandeln und Erfahrung in Küche, Service, Event-Planung und Buchführung sammeln.
  • Teilnahme an sog. Observations, bei denen Straftäter beobachtet, interviewt und getestet werden, um anschließend ihre Schuldfähigkeit zu beurteilen (→ Forensik oder Gefängnis)

Vor der Arbeit mit den forensischen Patienten, die alle wirklich schlimme Straftaten wie Mord oder Vergewaltigung begangen haben, hatte ich ehrlich gesagt anfangs Respekt, wurde dann aber überrascht, wie angenehm und „normal“ sich der Umgang mit diesen Patienten herausstellte. Ich habe die meisten Patienten als freundliche, sehr höfliche und dankbare Menschen kennengelernt, was vermutlich auch daran lag, dass ich bei den wenigsten über die genaue Straftat Bescheid wusste.

Meine Erfahrungen im Ergotherapie Praktikum in Namibia

Obwohl ich eigentlich eher am motorisch-funktionellen Bereich interessiert bin, war ich froh, durch das Namibia-Praktikum sozusagen in die Psychiatrie „hineingeschubst“ worden zu sein, da ich die interessanten Erfahrungen in diesem Fachbereich sonst wohl nie gesammelt hätte. Doch natürlich freute ich mich sehr, dass ich auch in folgenden Bereichen mithelfen durfte:

  • Wheelchair-Clinic (Rollstuhlversorgung, -anpassung und -reparatur fällt in Namibia in den Aufgabenbereich der Ergotherapeuten, Orthopädietechniker in dem Sinne gibt es nicht.)
  • Handtherapie und Schienenbau (Da es im Township eine hohe Gewaltrate gibt, sahen wir vor allem Schnittverletzungen durch Straßenkämpfe.)
  • Spinal-Cord-Unit (Sehr strukturierte Abteilung mit genauem Ablaufplan der Reha von der Akutbehandlung bis hin zur ambulanten Weiterbehandlung nach Entlassung)
  • Pädiatrie im Katutura-Hospital und Kinder-Onkologie im Central Hospital
  • Klumpfuß-Sprechstunde (Gipsbehandlung nach Ponseti)

Erkenntnisse, die ich bei der Arbeit in diesem wunderschönen Land sammeln durfte:

  1. Mensch, sind wir Deutschen akkurat! Egal ob in Sachen Hygiene, Arbeitsstruktur, Planung, Bürokratie oder Datenschutz: der „Namibian way“ ist kein Vergleich zu unseren geregelten Gegebenheiten. ABER: Es funktioniert auch so!
  2. Zeit = Geld? Mag sein… ABER: afrikanische Gelassenheit = Lebensfreude und Zufriedenheit
  3. Ergotherapie kann noch vielseitiger sein! Rollstuhl-Sitzschalen anfertigen, Klumpfüße eingipsen, Schuldfähigkeit beurteilen… Respekt, was die namibischen Kollegen an Verantwortung tragen!

Ein Erfahrungsbericht von Carina S., die von Oktober 2016 bis Januar 2017 ein Ergotherapie Praktikum in Namibia absolvierte.

Portrait Carina
Autor
Carina

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